Die Wächter der Deiche

Zu Besuch bei Deichschäfer Janko Schneider

Bei den Deichschafen – Der schönste Arbeitsplatz der Welt?

Sturm ist erst, wenn die Schafe keine Locken mehr haben – lautet ein weit verbreiteter Witz bei uns an der Nordseeküste. Die drolligen Vierbeiner gehören zu unserer Landschaft wie Wattwurm und Seehund.

Die Deichschafe an der Nordsee
Die Deichschafe und der Schäfer an der Nordsee

Wenn dann noch im Frühjahr die kleinen Osterlämmer inmitten der Herde herumspringen, werden die tierischen Deichbewohner zu einem willkommenen Fotomotiv. Der große Hunger der Deichschafe leistet ganz nebenbei einen unabdingbaren Beitrag zur Deichsicherheit – denn ohne die Schafe wären die Schutzwälle lange nicht so widerstandsfähig, wie sie es sind.

Deichschäfer Janko Schneider aus Dornum an der Nordsee

In Arle, einem kleinen Dorf rund 15 Autominuten von Dornumersiel entfernt, lebt Deichschäfer Janko Schneider auf seinem hübschen Bauernhof. Der bald dreifache Familienvater bewirtschaftet mit seinen Schafen die Deichflächen von Ostermarsch (östlich der Stadt Norden) bis Dornumersiel, eine Strecke von rund 17 km. 

Janko, warum sind die Deichschafe für unsere Deichsicherheit so wichtig?

Janko: Sie sorgen für eine kurze, verbissene Grasnarbe. Das fördert eine bessere Verwurzelung des Grases. Und mit ihren kleinen, harten Trippelschritten verfestigen sie die Oberfläche. Ohne Schafe hat man keine Chance, den Deich so fest zu bekommen. Das schafft keine Mähmaschine.

Wir Schäfer nennen diesen Effekt in der Schafhaltung auch den „goldenen Tritt“.

Wie viele Deichschafe hast du?

Janko: Ich habe 850 Muttertiere, mit den Lämmern sind es dann rund 2.000 Tiere. Ich will noch auf 1.000 Muttertiere aufstocken. Das reicht mir dann auch. Schafhaltung ist ein harter Job und viel Arbeit. Da muss man aufpassen, dass man irgendwann nicht zu viele Baustellen bekommt.

Hast du den Beruf des Deichschäfers erlernt?

Janko: Ja, ich habe zwei Jahre auf einem landwirtschaftlichen Betrieb in Baden-Württemberg gelernt. Das waren traditionelle Wanderschäfer. Die hatten 1.700 Mutterschafe, vor allem Merino-Schafe. Die sind besser fürs Hüten geeignet als unsere Deichschafe. Wir haben Texel-, Suffolk- und Charolais-Schafe. Also Fleischschafe, die eher für die Deichpflege eingesetzt werden. Sie laufen nicht so viel wie die Merinos. Unsere Schafe stehen und fressen (lacht). Im dritten Lehrjahr war ich dann in Papenburg in einer Deichschäferei und habe danach noch meinen Deichschäfermeister gemacht. 2013 hab‘ ich mich selbständig gemacht und hier in Arle die Stallungen nach und nach gepachtet. 2015 hab‘ ich die Flächen und den Hof dann komplett übernommen. 

Nur von der Landschafts-Pflege kann man nicht mehr leben. Deshalb muss ich auch Fleisch produzieren.

Aber die Schafhaltung ist schon deine Leidenschaft?

Janko: Ja, aber da bin ich auch so reingewachsen. Ich komme vom Bauernhof. Wir hatten neben Kühe und Schweine auch Deichschafe. Und ich hab‘ mich immer um die Schafe gekümmert.

Wie sieht denn dein Tagesablauf jetzt im Frühsommer aus?

Janko: Morgens füttern wir erst die Flaschenlämmer, also Lämmer, die vom Muttertier nicht angenommen wurden, oder nicht vital genug sind. Dann fahre ich zum Deich und mache meinen Deichrundgang. Das heißt, ich kontrolliere, ob die Schafe genügend Wasser haben, ob Tiere ausgebrochen sind, oder kranke Tiere dabei sind, die behandelt werden müssen usw.

Lämmer und Deichschafe an der Nordsee in Dornum

Wie viele Flaschenlämmer habt ihr zurzeit?

Janko: In diesem Jahr hatten wir 60 Flaschenlämmer.

Die müssen alle mit der Flasche gefüttert werden?

Janko: Nein, wir haben im letzten Jahr schon auf automatische Fütterung umgestellt. Da können sich die Lämmer selbst bedienen. Da brauche ich nur das Milchpulver einkippen und kontrollieren, dass alle Lämmer einmal getrunken haben. Früher mussten wir die Lämmer am Nuckeleimer füttern. Da waren wir morgens drei Stunden mit beschäftigt. Jetzt ist das alles viel zeitsparender und entspannter für uns.

Wenn all die Lämmer geboren werden, das ist doch bestimmt sehr stressig für euch?

Janko: Ja, die Lammzeit ist die anstrengendste Zeit. Da geht das rund um die Uhr. Da sind tagsüber alle im Stall. Nachts muss auch permanent einer Wache schieben. Es kann immer mal sein, dass wir bei einer komplizierten Geburt nachhelfen müssen. Im Prinzip ist das die Erntezeit für uns. Das geht von Januar bis März. Erst freut man sich natürlich drauf, aber im März bist du echt fertig.

Und danach geht‘s für die Schafe raus auf die Deiche?

Janko: Ja, dann wirds für uns entspannter. Dier ersten Deichschafe, die bereits im Januar ihre Lämmer bekommen haben, kommen schon Anfang März auf die Deiche.   

Wie lange bleiben die Schafe da?

Janko: Ab August, September kommen die ersten Schafe schon vom Deich wieder runter auf die Winterweiden der umliegenden Bauern. Unsere Schafe sind Grasrassen, die brauchen Gras. Die sind auch am besten zufrieden, wenn sie draußen sind. Das sind keine Stallschafe, sondern sind möglichst lange draußen und kommen eigentlich nur zum Ablammen in den Stall. Die Tiere werden unzufrieden, wenn sie zu lange im Stall stehen. Die wollen raus. Da hilft auch das beste Kraftfutter oder Heu nicht.

Hütehund für Deichschafe an der Nordsee in Dornum

Da ihr ja in dem Sinne nicht auf Wanderschaft mit euren Schafen geht, sondern die Tiere auf Standweiden bleiben, braucht ihr da denn Hütehunde?

Janko: Ja, die brauchen wir unbedingt. Wir haben zwei Hütehunde, einen Australian Kelpi und eine Gelbbacke, einen altdeutschen Hütehund. Das ist eine ganz alte Rasse. Beide sind Hütehunde durch und durch, die müssen am Schaf arbeiten. Wir bilden die Hunde hier selber aus. Die Grundkenntnisse haben wir gelernt und alles weitere macht die tägliche Arbeit am Schaf. Die Hunde habe ich permanent dabei. Und dann haben wir auch noch einen Dackel. Das ist zwar kein Hütehund, aber zum Treiben reicht er (lacht).

Die Hunde sind immer dabei und kommen beim Umtreiben von einer Weide auf die andere zum Einsatz oder beim Einpferchen, wenn die Tiere tierärztlich behandelt werden müssen. Wir sind hier oben ein reiner Koppelschafbetrieb. Im Winter teile ich die Deichschafe in 10 – 14 kleinere Herden. Also viel keiner als auf dem Deich im Sommer. Teilweise sind unsere Winterweiden nur 2 – 3 Hektar groß. Da muss ich öfter wechseln. Da steht die Herde dann zwei Tage drauf, dann müssen die weiter. Ich hab‘ oft Tage, da muss ich 5 – 6 Herden umtreiben. Das dauert den ganzen Tag. Da sind auch die Hunde sehr gefordert.

Deichschafe und Schafherde von Janko Schneider an der Nordsee

Wann werden die Schafe geschoren?

Janko: Sobald sie aufgestallt werden, Dezember bis Februar. Die Jährlinge (Einjährige), die den ganzen Winter draußen bleiben, werden jetzt im Juni geschoren. Wenn die Schafskälte vorbei ist, kann die Wolle ab. Früher hab‘ ich das selbst gemacht. Jetzt brauche ich einen externen Schafscherer. Und die sind mittlerweile Mangelware. Das ist ein schwerer Job, der auf die Knochen geht. Das will heute keiner mehr machen.

Wie schnell ist ein Schaf geschoren?

Janko: Das dauert nur zwei Minuten.

Was macht ihr mit der Wolle? 

Janko: Die verkaufen wir an einen holländischen Wollhändler. Die geht dann aufs Schiff und ins Ausland. Die Wolle ist ja ziemlich grob. Die wird teilweise mit feinerer Wolle durchmischt und zu Teppichen, Dämmmaterial oder Düngepellets verarbeitet. Schafwolle kann man auch gut als Rosendünger nutzen.

Hörtipp: Marlene erzählt dir über das Leben der Deichschafe.

Schafwolle als Rosendünger? Im Ernst? 

Janko: Ja, in der Wolle sitzen viele Nährstoffe. Das ist ein super natürlicher Langzeitdünger, viel besser als Kunstdünger. Wir düngen auch unsere Tomaten mit der Wolle. Die wachsen wirklich phänomenal. Oder wenn man’s mit den Knochen hat – einfach Schafwolle drumwickeln oder drauf schlafen – hilft super. Ich habe sogar ab und zu noch Anfragen nach Schaf-Urin.

Bitte?? 

Janko: Schafurin ist ein altes Hausmittel, das wurde früher bei Lungenentzündung genommen oder auch, wenn nix anderes mehr geholfen hat. Ja, das Schaf ist eben ein wertvolles Tier.

Ist es wahr, dass man Schafe, die auf dem Rücken liegen, umdrehen soll?

Janko: Ja, das ist für die Tiere sogar überlebenswichtig. Die Wolle ist wie ein Schwamm. Wenn die Tiere auf dem Rücken liegen, schlimmstenfalls auch noch vollgefressen sind und einen dicken Bauch haben, kommen sie von alleine nicht mehr auf die Beine. Wenn sie so ein paar Stunden auf dem Rücken liegen, gast der Pansen auf, die inneren Organe, Herz und Lunge, werden eingequetscht. Die Deichschafe bekommen Kreislaufprobleme und ersticken letztendlich.

Das Problem haben wir aber eher im Winter, da die Schafe dann auch noch hochtragend sind oder die Weiden von den tiefen Treckerreifen zerfurcht sind. Wenn man ein Schaf auf dem Rücken liegend sieht, dann einfach beherzt in die Wolle greifen und das Tier mit einem Schups auf die Seite drehen. Damit hat man ein Leben gerettet.

Wie soll man sich denn generell verhalten, wenn Schafe auf den Deichen sind?  

Janko: Die allerwichtigste Regel: Keine Hunde auf den Deichen! Auch wenn der Hund nichts tut, es kann immer mal der Jagdtrieb geweckt werden. Die Hunde reißen sich von der Leine los und jagen die Schafe. Das macht mich richtig wütend, wenn Hunde die Schafe in die Gräben jagen oder sie gebissen werden. Die Schafe sind teilweise hochtragend, durch die Hetze sind sie gestresst und verlammen dann. Und die Lämmer finden ihre Mütter nicht mehr und schreien jämmerlich. Schlimmstenfalls tragen die Tiere auch noch Verletzungen davon. Radfahren ist auf den Deichen auch verboten. Denn sobald ein Schaf wegrennt, rennen alle hinterher und die ganze Herde ist in Aufruhr. Die Jogger auf den Deichen machen auch öfters Probleme. Das muss doch alles nicht sein.

Ein bisschen mehr Gefühl fürs Tier wünsche ich mir.

Der Müll auf den Deichen ist ebenfalls ein Problem. Viele Leute sitzen abends auf den Deichen, um den Sonnenuntergang zu genießen und trinken ihr Bierchen dabei. Anstatt ihren Müll mitzunehmen und fachgerecht zu entsorgen, werden die leeren Flaschen einfach liegengelassen. Dann kommt irgendwann später der Mulcher, geht da durch, und alles ist voller Glasscherben. Es muss miteinander gehen. Aber schwarze Schafe gibt es leider überall. Bei den Menschen und bei den Schafen (lacht).

P.S. Möchtest du den Schafen helfen? Werde Schaffreund und schließe eine Patenschaft

Janko, was ist für dich das Schönste an deinem Beruf?

Janko: Die abwechslungsreiche Arbeit. Ich hab‘ mit den Tieren zu tun, bin fast immer draußen an der frischen Luft. Im Sommer bin ich viel am Deich. Das genieße ich besonders. Ich sag immer: Ich freu mich vier Mal im Jahr. Das erste Mal im Winter, wenn das Wetter so richtig ungemütlich ist und die meisten Deichschafe im Stall sind. Als nächstes freu ich mich, wenn die Lämmer geboren werden. Aber nach drei Monaten hab‘ ich dann die Nase voll und freue mich, wenn diese nervenaufreibende Zeit vorbei ist und die Schafe auf den Deich können.

Deichschäfer Janko Schneider aus Dornum an der Nordsee

Wenn ich dann das erste Mal die Klappe vom Anhänger herunterlasse und die Schafe auf den Deich springen und sich freuen, dass sie endlich wieder draußen sind – das ist ein schönes Bild. Und im Herbst sag ich mir dann, jetzt reichts auch wieder. Dann bin ich froh, wenn die Deichschafe auf die Winterweiden umziehen. Dann bin ich ständig mit den Hunden draußen, um die Schafe umzutreiben und die Flächen neu einzuzäunen. Alleine mit der Natur, den Schafen und meinen Hunden. Das liebe ich. So hat jede Jahreszeit für mich ihren ganz besonderen Reiz. Ich lerne jeden Tag dazu und habe immer wieder neue Erlebnisse mit den Tieren. Das macht meine Arbeit so interessant und abwechslungsreich.

P.S. Erfahre hier mehr über das wundersame Leben der Deichschafe!

  Vielen Dank für die interessanten Einblicke, Janko!

Marlene schreibt

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