Eala Frya Fresena
„Seid gegrüßt, freie Friesen!“ – so klingt es durch Ostfriesland.
In der neue Episode des Nordsee-Podcasts „Teetied & Rosinenbrot“ entführt uns Marlene in die stürmischen Zeiten des mittelalterlichen Frieslands. Die Friesen, stolz und frei, meisterten die Herausforderungen ihres rauen Lebensraums zwischen Meer und Moor mit Bravour. Durch Zusammenhalt und kluge Strategien verteidigten sie ihre Freiheit gegen gierige Grafen und furchteinflößende Normannen. Ihr unerschütterliches Gemeinschaftsgefühl spiegelte sich im Bau und Erhalt mächtiger Deiche wider, ein Symbol ihrer Unabhängigkeit und ihres technischen Geschicks.
Die friesische Freiheit
Marlene erzählt uns von einer Gesellschaft, die ihrer Zeit weit voraus war: Anstatt einer feudalen Ordnung folgten die Friesen einem System der Selbstverwaltung, mit Landesgemeinden und jährlich wechselnden Richtern. Die 17 Küren und 24 Landrechte zeugen von einem tief verwurzelten Sinn für Gerechtigkeit und Gleichheit, mit kuriosen, aber weitsichtigen Gesetzen, die sogar das Zufügen von Wunden an Sonntagen regelten.
Mit einer Prise Humor vermittelt dir Marlene das Bild einer beeindruckend fortschrittlichen mittelalterlichen Gesellschaft, deren Erbe von Freiheit und Gemeinsinn bis heute nachhallt.
Die ganze Episode zum Nachlesen:
Moin und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Teetied und Rosinenbrot, dem Podcast aus Dornum.
„Wie die meisten unserer Urlauber kommt ihr wahrscheinlich mit dem Auto zu uns ins schöne Dornum. Und wahrscheinlich kommt ihr dann entweder über die A 28 oder über die A 31. Dann fällt euch bestimmt ein großes braun-weißes Hinweisschild auf. Ihr kennt diese Schilder. Man findet sie oft an den Autobahnen und meistens weisen sie auf besondere Sehenswürdigkeiten oder regionaltypische Landschaftsformen hin.
Der Ursprung der Friesischen Freiheit
Auf unserem Ostfriesland-Schild sind ein mittelalterlicher Krieger und eine Steinpyramide abgebildet, darunter steht Friesische Freiheit. Das Ostfriesland-Schild verweist in der Tat auf ein kulturgeschichtliches Alleinstellungsmerkmal, auf eine einzigartige Form der Selbstorganisation unserer Vorfahren im Mittelalter, eben die sogenannte friesische Freiheit, auf die die Friesen übrigens bis heute sehr stolz sind.
Der Volksstamm der Friesen ist nach außen frei. Keinem anderen Herrn untertan. Für die Freiheit gehen sie in den Tod. Lieber gehen sie in den Tod, als sich das Joch der Knechtschaft aufbürden zu lassen. Aber sie sind den Richtern untertan, die sie jedes Jahr aus ihrer Mitte wählen und die das Staatswesen unter ihnen ordnen und regeln. Ganz schön selbstbewusst, oder? So steht es in einem der 17 Gesetze.
Das sind Gesetze, die im Mittelalter für alle Friesen gleichermaßen galten. Das war schon etwas Besonderes, wenn man bedenkt, dass im Mittelalter in ganz Europa ein Feudalsystem herrschte, in dem der Kaiser oder König, der Adel und die Kirche die herrschende Klasse bildeten. Die Bauern waren unfrei, besitzlos, oft Leibeigene und mussten zudem Kriegsdienste für ihre Herren leisten. Und gut. Auch für die Friesen war der König oder Kaiser der Herr.
Aber dann kamen sie, die friesischen Bauern. Sie waren freie Hofbesitzer, die ihr eigenes Land bewirtschafteten. Und diesen besonderen Status hatten sie seit dem neunten Jahrhundert. Angeblich soll Karl der Große ihnen dieses einzigartige Recht als Dank für eine siegreiche Schlacht gegen die Römer verliehen haben. In Wirklichkeit war es wohl einer seiner Nachfolger. Zumindest geht man heute davon aus. Für die Entwicklung der friesischen Freiheit, die weit über den militärischen Erfolg hinausging, waren aber noch andere Umstände von Bedeutung.
Die Entwicklung des friesischen Rechtssystems wird heute als ein längerer Prozess gesehen. Er vollzog sich nicht über Nacht, denn die Friesen standen im Mittelalter vor zwei gewaltigen Herausforderungen. Da waren zum einen die skandinavischen Wikinger, die immer wieder in Friesland einfielen. Und da war der Kampf gegen die Nordsee, gegen die verheerenden Sturmfluten. Deiche mussten gebaut werden und beides gelang nur, wenn alle an einem Strang zogen und zusammen halfen. Und nur durch diese enorme Gemeinschaftsleistung war es möglich, die Wikinger 884 endgültig zu schlagen und auch den Deichbau erfolgreich umzusetzen.
Die 17 Küren
Ja, und so ist es verständlich, dass sich hier an der Küste nach und nach ein ganz anderes Selbstverständnis, ein Selbstbewusstsein entwickelte, das dazu führte, dass sich die Friesen in autonomen, genossenschaftlich organisierten Landesgemeinden zusammenschlossen. Sie schufen sich ein eigenes Rechtssystem, das aus 17 Küren, also Gesetzen, und 24 Landrechten bestand, die für alle Friesen gleichermaßen galten. In seiner Blütezeit um 1300 umfasste das Reich der Freien Friesischen Länder 27 Landesgemeinden im Nordwesten der Niederlande, d.h. vom Ijsselmeer über Ostfriesland bis nördlich von Bremerhaven.
Diese Landgemeinden wiederum schlossen sich zum Bund der Sieben Seelande zusammen. An der Spitze dieser autonomen Länder standen die sogenannten Redjeven. Das waren Richter oder Gerichtsherren. Die Redjeven hatten zwar die Macht in den Gemeinden, wurden aber nur für ein Jahr gewählt. Damit sollte verhindert werden, dass ein Großbauernclan zu mächtig wurde. Außerdem gab es verschiedene Gesetze, die verhindern sollten, dass ein Redjeve seine Macht als Richter missbrauchte. Zu seinen Aufgaben gehörten die Vertretung der Landesgemeinde bei Handelsverträgen, die Führung des Aufgebots einer Gemeinde bei der Landesverteidigung, die Aufrechterhaltung des Landfriedens und natürlich die allgemeine Rechtsprechung, also die Entscheidung über Streitigkeiten, ob jemand verurteilt oder freigesprochen werden sollte.
Es wurden aber auch neue Gesetze erlassen, die heute manchmal recht kurios erscheinen. Sie erzählen aber auch viel über das Zusammenleben der Menschen im Mittelalter, so war fast jede Strafe eine Geldstrafe und wer Geld hatte, konnte sich nach einer genau festgelegten Buß taxe freikaufen. Wer nicht zahlen konnte, musste sich Geld leihen oder bekam die Strafe körperlich zu spüren.
Wer einen anderen ins Wasser taucht oder böswillig mit einer Flüssigkeit übergießt oder ihn ohne seine Schuld fesselt oder sich etwas widerrechtlich aneignet oder ihm am Sonntag eine blutende Wunde schlägt, der soll für jede dieser Taten 15 Unzen Buße zahlen, es sei denn, er leugnet es. Dann soll er sich nach dem Recht aller Friesen durch vier Eide auf die Reliquien freisprechen. So steht es im 14. Landrecht. Einmal im Jahr, immer um Pfingsten, kamen die Richter der Landesgemeinden zusammen, um zu beraten und Recht zu sprechen.
Die Versammlungen in Upstalsboom
Das war in Upstalsboom. Das ist ein Ort in der Nähe von Aurich, etwa 26 Kilometer von Dornum entfernt. Der Upstalsboom ist eigentlich nur ein Hügel. Und warum die Friesen ausgerechnet diesen Hügel als Versammlungsort wählten, ist nicht ganz klar. Vielleicht war es die zentrale Lage. Außerdem war der Ort sowohl zu Land als auch zu Wasser gut zu erreichen. Ausgrabungen ergaben, dass der Hügel eine frühmittelalterliche Grabstätte war. Bis etwa zur Mitte des 14. Jahrhunderts häuften sich die Krisen, Hungersnöte, Sturmfluten, fehlende Absatzmärkte für die Waren und schließlich auch noch die Pest, also wirklich existenzielle Krisen. Da ging der Genossenschaftsgedanke der freien Friesen allmählich verloren. Die letzte Versammlung in Upstalsboom war 1327.
Um 1350 brach die alte Ordnung endgültig zusammen. Viele Bauern mussten Haus und Hof verlassen, verarmten und suchten Zuflucht bei reichen Bauern. Die Macht der Redjeven aber, die ja aus dem reichen Bauerntum kamen, verfestigte sich, die soziale Ungleichheit wuchs, und so ging die Macht irgendwann in die Hände weniger reicher Bauern über, die sich Hofedlinge, also Häuptlinge, nannten. Sie bauten ihre Herrschaft immer weiter aus und schufen sich nebenbei schöne Statussymbole, nämlich ihre Steinhäuser und Burgen. Davon gibt es heute noch viele, zum Beispiel in Ostfriesland, auch bei uns in Dornum. Die Beningerburg und die Wasserburg. Sie hielten sich kleine Söldnerheere und führten Kriege gegen ihre Nachbarn. So entstand ein Standesbewusstsein. Die Häuptlinge sahen sich mehr als Adelige.
Die Bauern waren nur noch ihre Untertanen. Viele Jahrhunderte geriet die friesische Freiheit in Vergessenheit und damit auch der Versammlungsort der freien Friesen, bis man sich 1833 wieder an diese so wichtige Zeit erinnerte und den Upstalsboom errichtete. Der Platz ist bis heute erhalten geblieben.
Die Erinnerung
Zur Erinnerung an diese bedeutende Zeit errichtete man eine Steinpyramide und genau diese Steinpyramide sieht man auf dem Hinweisschild an der Autobahn. Übrigens den Upstalsboom mit der Steinpyramide, den kann man besichtigen. Aber am eindrucksvollsten, finde ich, zeigt sich die Bedeutung der friesischen Freiheit im Ihlowforst. Das ist nicht weit vom Upstalsboom entfernt. In diesem Wäldchen liegt die Klosteranlage Nilo. Hier haben die Zisterzienser 1228 ein großes, bedeutendes Kloster gebaut. Es steht zwar nicht mehr, wurde aber vor Jahren komplett rekonstruiert.
Mein Tipp für euch: Unbedingt anschauen, das lohnt sich wirklich. In der Zeit der Friesischen Freiheit war die Zisterzienserabtei Ihlow sehr wahrscheinlich Archiv und Kanzlei des Upstalsboom-Bundes. Darauf deuten zumindest einige Funde hin. Jedenfalls hat die Künstlerin Monika Kühling auf dem Waldweg, der zum Klostergelände führt, mit Bändern, Fahnen, riesigen Textbannern und Tüchern die 17 Küren der friesischen Freiheit sozusagen manifestiert, publiziert. Und sie hat damit, wie ich finde, in ganz hervorragender Weise zum Ausdruck gebracht, was für sie friesische Freiheit neben Selbstbestimmung, Verantwortung und gemeinschaftlichem Handeln bedeutet, nämlich Leichtigkeit, Farbigkeit, Weltoffenheit, Freiraum und Weite. Und so entstand ein fantastisches Spiel aus Wind und Fahnen, Bahnen und Bannern, alten Bäumen und alten Texten. Symbole der Lebendigkeit und der Freiheit.
Auf Wiedersehen an alle. Eure Marlene aus Dornum.“
Bei der Ostfriesischen Landschaft kannst du noch tiefer in die Geschichte der Friesischen Freiheit eintauchen.