Papa kuck mal, der hat die Boardingliste!“ Heiteres Gelächter ertönt ringsum. Der kleine, naseweise Steppke hat in seinen jungen Jahren wohl schon ein paar Kreuzfahrten gemacht, denke ich bei mir. Und tatsächlich geht‘s für die rund vierzig gut gelaunten Passagiere, die am Hafen in Dornumersiel stehen, heute zur Ausflugsfahrt zu den Seehunden.
Aber nicht auf große Kreuzfahrt in ferne Länder, sondern auf Safari ins UNESCO Weltnaturerbe Wattenmeer. Deshalb stehen wir auch nicht vor der AIDA, sondern vor der MS Freia, einem kleinen 240 PS starken Fahrgastkutter.
„Der mit der Boardingliste“ ist übrigens Kapitän Axel Henke, der nun zur Erleichterung Vieler eine komfortable Gangway herbeizaubert und das „Boarding“ kann beginnen. Immer mit einem lockeren Spruch auf den Lippen setzt Kapitän Henke hinter jedem Namen auf der „Boardingliste“ sein Häkchen. An Bord sucht sich jeder ein Plätzchen auf dem Aussendeck. Die Ausflugsfahrt kann starten!
Wobei „davorstehen“ passt nicht wirklich, denn es ist Ebbe und entsprechend tief liegt die Freia ganz tief unten im Hafenbecken. Nur die Spitze des Fahnenmastes lugt über die Kaimauer, so dass sich einige der Wartenden schon ganz besorgt fragen, wie sie runter aufs Schiff gelangen sollen. Doch wohl nicht über die steile Treppe, die an der Kaimauer klebt.
Kinder, winkt noch mal – ruft eine Mutter!
„Wo denn?“, krakeelen die Kinder verwundert. „Na, da oben am Kai“, gibt Mama die Blickrichtung himmelwärts vor. Das Schiff fängt an zu tuckern, wir laufen aus. Statt AIDA- Auslauflied gibts Möwengekreisch und Motorengetucker. Stört uns aber nicht. Wir fühlen uns in diesem Moment auf unserem kleinen Schiff genauso stolz und ergriffen wie auf einem Kreuzfahrtriesen.
Wahrscheinlich winken wir auch deshalb den zurückbleibenden Menschen im Hafen so glücklich zu. Zwei Stunden Auszeit, Spannung und Abenteuer auf der Nordsee warten auf uns.
Die Ausflugsfahrt startet
Es geht Richtung Baltrum raus auf die Nordsee, die sich die ersten hundert Meter zunächst nur als ein schmales Rinnsal entpuppt. Rechts und links nichts als weite Wattflächen. Jetzt im Juni ist es frühlingshaft warm. Dicke, weiße Wattewolken jagen am ansonsten blauen Himmel dahin, der Nordwestwind allerdings ist lebhaft bis böig. „Ischt puschtig heut“, bringt es eine Urlauberin aus Hessen auf den Punkt.
Ischt puschtig heut!
„Ist das nicht zu windig, um mit so einem kleinen Schiff `rauszufahren?“ frage ich Kapitän Henke. „Nö“, lacht der, „bei Niedrigwasser baut sich hier nicht so viel auf“. Also seekrank werden wir von dem leichten Geschaukel schon mal nicht. Der Motor wummert gemütlich. Die vielen Kinder sind damit beschäftigt sind, auf Henkes Schoß mit dem großen Steuerrad das Schiff auf Kurs zu halten.
Wir Erwachsenen genießen das fantastische Nordseepanorama, dass sich vor uns auftut: das im Sonnenlicht glitzernde unendlich weite Meer, der kräftige Wind, der uns das Haar zerzaust, die würzig nach Salz riechende Nordseeluft und das Rauschen der Wellen.
Jetzt habe ich auch Gelegenheit, den zweiten Mann an Bord, Hauke Thomsen, kennenzulernen. Hauke kommt, wie der Name schon verrät, aus Nordfriesland. Seit April arbeitet er als Steuermann auf der Freia.
„Welche Ausbildung braucht man denn, um die Freia zu fahren?“ will ich wissen. „2020/ 2021 hab‘ ich auf der Seefahrtschule in Flensburg die Schulbank gedrückt und hab das NK 500 – Patent gemacht.“
Im Fachjargon heißt das: Ausbildungsgang zum Erwerb des Befähigungszeugnisses für den nautischen Dienst auf Fracht– und Fahrgastschiffen mit einer Bruttoraumzahl bis zu 500. Für euch übersetzt: Jetzt darf er Bäderschiffe und größere Schiffe fahren … und natürlich unsere Ausflugsfahrt!
Seehunde voraus!
Nach ca. einer Stunde Fahrt drosselt Kapitän Henke die Maschine. Wir sind im Baltrumer Watt. Es ist eine amphibische Welt aus Wasser und Land, die wir jetzt sehen, die Priele laufen langsam voll, noch glänzen Wattflächen silbern unter der Sonne. Und bald tauchen auch schon die ersten vorwitzigen Schnauzen aus dem Wasser auf. Auch ohne Fernglas sind mindestens vierzig Seehunde auf der Sandbank zu erkennen. Kapitän Henke hält das Schiff sorgsam auf Abstand – nicht nur um ein Auflaufen zu verhindern, sondern vor allem um die Tiere nicht zu stören.
Angst scheinen sie nicht vor dem Schiff zu haben, sie liegen still, verfolgen mit ihren großen Kulleraugen wachsam das Schiff. „Wichtig ist, die Tiere nicht zu stören. Wir wollen sie bei den Ausflugsfahrten nicht zur Flucht ins Wasser veranlassen – vor allem dann nicht, wenn sie Nachwuchs haben“, erzählt Hauke. Von Juni bis Anfang Juli gebären die Seehund-Weibchen ihren Nachwuchs. Die Jungen können bereits schwimmen und halten sich mit ihren Müttern in der Nähe der Sandbänke auf. Sie kommen immer wieder dorthin zurück, um zu säugen oder sich auszuruhen.
Wichtig ist, die Tiere nicht zu stören.
Immer wieder taucht eine Schnauze vor uns auf; neugieriger Blick, eleganter Schwung und verschwunden in den Fluten ist der Seehund. Stundenlang könnte man dem Treiben der possierlichen Tiere zusehen und die herrliche Wattenmeer-Kulisse genießen.
Neugieriger Blick, eleganter Schwung und verschwunden in den Fluten ist der Seehund.
Wusstest du?
Seehunde gehen bei Flut auf die Jagd und erreichen dabei dank ihres torpedoförmigen Körpers Spitzengeschwindigkeiten von 35 Stundenkilometern. Sie tauchen bis zu 200 m tief und 30 Minuten lang. Sandbänke sind für sie nicht nur wichtige Ruheplätze, hier kommen auch die Jungtiere zur Welt.
Beeindruckend sind die ausgedehnten Wanderungen, die Seehunde unternehmen. Meist liegen die Nahrungsgebiete 20 – 30 km von ihren Ruheplätzen entfernt, oftmals aber auch bis zu 70 km. Bis zu drei Tagen sind die Meeressäuger dann unterwegs. Genauso lange ruhen sie sich danach auf Sandbänken aus, bevor es zum nächsten Fischzug geht. Jungtiere entfernen sich schon im ersten Lebensjahr bis zu 500 km vom Geburtsort. Höre auch den Nordsee-Podcast über Seehunde und Robben in der Nordsee.
Weiter Richtung Langeoog
Für uns viel zu schnell wendet Käpt’n Henke das Schiff und steuert Richtung Langeoog. „Da gibt’s die meisten Fänge an Krabben, Muscheln, Quallen usw.“, weiß er aus langjähriger Erfahrung. Denn Axel Henke war eigentlich schon immer auf See. „25 Jahre war ich Fischer, sieben Jahre hab‘ ich Offshore gearbeitet. 2015 hab‘ ich dann die Freia in Dornumersiel übernommen.“ Seitdem bietet er von April bis Oktober fast täglich Ausflugsfahrten und Ausflüge von Dornumersiel zur Insel Langeoog und zu den Seehundbänken an, um den Gästen mit seinem speziellen norddeutschen Humor die Schönheit und Einzigartigkeit der Nordsee und seiner tierischen Bewohner zu zeigen und erklären.
„Wir gehen immer recht leicht und flockig mit den Gästen um. Wir sind so. Wir haben immer gute Laune“, schmunzelt Axel. „Erzählt ihr auch Seemannsgarn“, will ich wissen. „Nee, wir erzählen nur Wahrheiten. Alles was wir erzählen, erzählen wir auf eine Art und Weise, die vielleicht deshalb nicht unbedingt zu glauben ist, aber sie stimmt. Aber klar macht man mal ein paar Späße.“
Es wird laut auf dem Deck, Kinder rennen ans Heck der Freia und beugen sich übers Wasser. Gemeinsam mit Steuermann Hauke Thomsen beginnen sie an einem langen dicken Tau das prall gefüllte Schleppnetz an Bord zu hieven.
In eine bereitgestellte, große Wanne ergießt sich die ganze tierische Pracht: Ein Gekrabbel und Gewimmel von Krabben, Krebsen, Muscheln, Schnecken, Fischen und Seesternen kommen da zum Vorschein. Die Kinder juchzen, die Erwachsenen staunen. So viel Leben in so einem kleinen Netz! Mit Humor und viel Sachkunde erklärt Hauke den Fang und vermittelt den Anwesenden einen spannenden Einblick in das Leben der Nordsee.
Besonders Mutige dürfen die Seetiere auch vorsichtig anfassen.
Anschließend wird der Fang wieder ins Meer zurückgeworfen. Es geht heimwärts. Gut 20 Minuten später sind wir wieder im Hafen von Dornumersiel angelangt. Hast du auch Lust bekommen auf eine Ausflugsfahrt? Hier findest du alle Fahrten und Ausflüge auf die Nordsee.