Wo Ostfrieslands Moore Geschichten erzählen
Von dampfenden Sümpfen, mutigen Siedlern und einem brennenden Schnaps – Marlene nimmt dich mit auf eine Reise durch die geheimnisvollen Moore Ostfrieslands.
Im heutigen Nordsee-Podcast „Teetied & Rosinenbrot“ zeigt euch Marlene, wie aus endlosen Sumpflandschaften lebendige Fehnorte entstanden sind. Sie erzählt von harter Arbeit, mutigen Kolonisten und einem Sprichwort, das bis heute nachhallt: „Dem ersten der Tod, dem zweiten die Not, dem dritten das Brot.“
Ihr erfahrt, wie die Holländer einst halfen, die Moore zu entwässern, warum Kanäle das Gesicht Ostfrieslands prägten und weshalb das Leben im Moor oft mehr Überlebenskampf als Idylle war. Dazu gibt’s spannende Ausflugstipps – vom idyllischen Berumerfehn bis zum beeindruckenden Moormuseum Moordorf – und am Ende ein feuriges Ritual mit dem legendären Friesengeist.
Von Moorbrand und Mutproben
Marlene erzählt, wie die Menschen das Land durch Moorbrandkultivierung urbar machten, warum Friedrich der Große mit einem Edikt neue Siedler anlockte – und weshalb viele von ihnen dennoch Hunger und Entbehrung litten.
Doch aus Armut wuchs Geschichte: Aus Kolonien wurden Gemeinden, aus Torfwegen Radstrecken, und aus den gefürchteten Mooren wurden heute geschützte Klimaschätze, die mehr Kohlenstoff speichern als alle Wälder der Erde.
Die ganze Episode zum Nachlesen:
Moin und herzlich willkommen bei einer neuen Folge von Teetied und Rosinenbrot, dem Podcast aus Dornum.
Der Herbst ist da – und hat sich gleich mit Sturm und Regen angekündigt. Mein Garten verwandelt sich allmählich in eine kleine Sumpflandschaft.
Apropos Sumpflandschaft: Früher, also ganz früher, waren weite Flächen Ostfrieslands von Mooren bedeckt. Und an diesen Naturraum erinnern heute noch viele Ortsnamen – etwa Neermoor, Wiesmoor oder Moordorf.
Die Anfänge der Moorkultivierung
Lange Zeit konnte man die sumpfigen Moore nur über Bohlenwege betreten.
Erst ab dem 17. Jahrhundert begann man, die Moore urbar zu machen. Die Technik dafür übernahmen die Ostfriesen von den Holländern, die darin echte Vorreiter waren.
Man begann, Kanäle und ganze Kanalsysteme in die Moore zu graben, um das Land zu entwässern und trocken zu legen.
Der gewonnene Moorboden – also der Torf – wurde dann abgestochen und als Heizmaterial verkauft.
Die Orte, die entlang dieser Kanäle entstanden, nannte man Fehne. Das Wort stammt vom niederländischen veen und bedeutet „Sumpf“ oder „Morast“.
Die Stadt Emden machte 1633 mit der Gründung von Großefehn den Anfang. Großefehn ist heute eine Gemeinde im Südosten Ostfrieslands, rund 35 Kilometer von Dornum entfernt.
Es folgten viele weitere Fehnorte wie Rhauderfehn, Idafehn, Elisabethfehn – alle im Süden – sowie Berumerfehn ganz im Norden, direkt in der Nähe von Dornum.
Ein Tagesausflug ins Fehnland
Ein Ausflug in die Fehnorte lohnt sich wirklich!
Das Ortsbild dort unterscheidet sich deutlich von dem an der Küste.
Typisch sind die schnurgeraden Kanäle mit ihren Wieken – also Seitenarmen –, den weißen Klappbrücken und den hübschen Fehnhäusern. Das erinnert ein bisschen an Holland.
Besonders sehenswert ist Westgroßefehn, der älteste Fehnort Ostfrieslands – und, wenn ihr mich fragt, auch der schönste.
Hier ist noch alles wunderbar ursprünglich.
Im Zentrum liegt der historische Kanal mit der alten Klappbrücke, dem Galerieholländer (also der Windmühle) und den liebevoll gepflegten Fehnhäusern – ein Paradies für Fotograf*innen!
Wie der Torf auf Reisen ging
Vielleicht fällt euch auf, dass an beiden Seiten der Kanäle Wege verlaufen.
Das hat einen Grund: Die Torfkähne, mit denen der Torf in die Städte transportiert wurde, mussten entlang der Ufer gezogen werden – an langen Seilen, von Menschen oder Pferden.
Dieses Ziehen nannte man Treideln.
Manchmal wurden die Kähne auch gestakt, also mit langen Holzstangen vorangeschoben – ähnlich wie die Gondoliere in Venedig.
Wenn der Wind günstig stand, wurde auch gesegelt.
Der Anfang war allerdings hart. Ein Sprichwort aus dieser Zeit lautete:
„Dem ersten der Tod, dem zweiten die Not, dem dritten das Brot.“
Erst ab der dritten Generation konnten die Siedler also wirklich von ihrem Land leben.
Vom Torfhandel zur Schifffahrt
Mit der Zeit brachte der Torfhandel Wohlstand.
Es entstanden Schiffbau und Schifffahrt entlang der Kanäle.
Ein berühmtes Beispiel ist Papenburg – ebenfalls aus einer Fehnsiedlung entstanden.
Heute steht dort die Meyer Werft, eine der größten und modernsten Werften der Welt, wo die großen Kreuzfahrtschiffe gebaut werden.
Eine Führung durch die Werft ist absolut lohnenswert – besonders, wenn gerade an einem dieser riesigen Ozeanriesen gearbeitet wird.
Aber auch bei uns, ganz in der Nähe von Dornum, könnt ihr Fehnluft schnuppern:
Berumerfehn liegt nur etwa 15 Kilometer entfernt und ist ideal für eine Radtour.
Beliebte Wege führen entlang des Berumer-Fehn-Kanals.
Der Torfabbau dort begann Ende des 18. Jahrhunderts durch die Norder Fehnkompanie und lief bis 1939.
Der 13 Kilometer lange Kanal wurde eigens zum Torftransport gegraben.
Nach dem Ende des Torfabbaus wurde das Moor aufgeforstet, und Berumerfehn entwickelte sich zur lebendigen Moorkolonie.
Moorbrandkultivierung – Feuer und Asche
Ein anderes Verfahren war die Moorbrandkultivierung.
Dabei wurde die obere Moorschicht entwässert und im Frühjahr nach dem Frost abgebrannt.
Anschließend säte man Buchweizen in die noch warme Asche.
Der Nachteil: Nach spätestens sieben Jahren war der Boden ausgelaugt und musste etwa 30 Jahre ruhen, bevor er wieder nutzbar war.
Die Moorbauern mussten also immer weiterziehen und das nächste Stück Moor abbrennen.
Trotz der Folgen für Natur und Menschen setzte sich dieses Verfahren durch – vor allem, weil es den Landesfürsten half, schneller neues Land zu gewinnen.
Friedrichs große Pläne
Im Jahr 1765 erließ Friedrich der Große das sogenannte Urbarmachungsedikt.
Damit erklärte er die Moore zu Staatseigentum und vergab sie an Siedler.
Viele hofften auf ein besseres Leben – doch die Realität war oft bitter:
Die Landstücke waren zu klein, Infrastruktur fehlte, und die Kanäle mussten mühsam mit Schaufeln gegraben werden.
Manche Fehnkanäle brauchten Jahrzehnte bis zur Fertigstellung.
Die Ernten waren mager, die Böden schnell ausgelaugt – und viele Familien litten Hunger.
Oft mussten sie sich als Tagelöhner, Bettler oder gar Diebe durchschlagen.
Moordorf – Vom Armenhaus zum Freilichtmuseum
Die größte Torfbrandkolonie war Moordorf.
Hier lebten einst 130 Familien – und das Dorf galt lange als Inbegriff der Armut.
Es kursierten üble Vorurteile: Man sagte, in Moordorf lebten „Zigeuner, Häftlinge, Bettler, Messerstecher und Kommunisten“.
Diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei.
Heute ist Moordorf ein gepflegtes ostfriesisches Dorf – und ein großartiges Ausflugsziel: das Moormuseum Moordorf.
Nur 25 Autominuten von der Küste entfernt, zeigt das Freilichtmuseum eindrucksvoll, wie hart und spartanisch das Leben der ersten Moorsiedler war.
Man kann die kleinen, gedrungenen Häuser unter tiefen Reetdächern begehen, sieht Werkzeuge, Handwerkstechniken und das Leben im Wandel der Zeit.
Das Außengelände führt durch typische Hochmoorlandschaften bis zu einer Aussichtsplattform mit einem kleinen Biotop – ein wunderschöner Ort, auch für Familien.
Vom Entwässern zum Schützen
Während man früher alles daran setzte, die Moore trocken zu legen, steht heute der Moorschutz im Mittelpunkt.
Denn kein Lebensraum speichert mehr Kohlenstoff als intakte, nasse Moore.
Obwohl sie weltweit nur etwa 3 % der Landfläche bedecken, speichern sie doppelt so viel CO₂ wie alle Wälder zusammen.
Das macht sie zu einem wichtigen Faktor im Klimaschutz.
Der Friesengeist – Sage und Schnaps
Zum Schluss noch eine Sage aus dem 18. Jahrhundert: die vom Friesengeist.
Er soll einst in den Mooren gespukt haben – und ließ sich nur durch einen kräftigen Kräuterlikör vertreiben.
Dieser Likör trägt bis heute seinen Namen: Friesengeist.
Wenn ihr also mal in einem Restaurant esst, bestellt euch ruhig einen – am besten mit Zeremonie.
Der Friesengeist wird im Glas angezündet, eine Minute brennend serviert und dann mit einem speziellen Pfännchen gelöscht.
Dazu spricht man den traditionellen Spruch:
„Wie Irrlicht im Moor flackert empor.
Lösch aus, trink aus,
genieße leise –
auf echte Friesenweise.
Den Friesen zur Ehr –
vom Friesengeist mehr!“
Na dann: Prost!
Eure Marlene aus Dornum.